
Im Sommer waren wir in Dänemark, und ich war glücklich, endlich mal einen Gottesdienst der lokalen evangelischen Gemeinde besuchen zu können. Katholisches Gemeindeleben findet man in Dänemark nur noch an sehr wenigen Orten, wohl aber jede Menge sehr hübsche, sehr gut in Stand gehaltene historische Kirchen. So auch auf Holmsland Klit, dem schmalen Landstreifen zwischen der Nordsee und dem Ringkøbing Fjord.
In der Sommersaison werden für die überwiegend deutschsprachigen Touristen mancherorts Gottesdienste mit Übersetzung organisiert, sodass man mitfeiern und vieles verstehen kann.
Ich fand es ganz fabelhaft, die vertrauten Worte und Texte einmal auf Dänisch zu erleben! Da ich ohnehin gerade dabei bin, die verschütteten Dänisch-Kenntnisse meiner Jugend wieder aufzufrischen, hat es gleich doppelt Spaß gemacht.
Am nachhaltigsten hat mich jedoch das gemeinsame Abendmahl berührt.
Eingeladen waren ausdrücklich "alle mennesker" = alle Menschen.
Ein Satz, den man in meiner Kirche von offizieller Seite vermutlich nie hören wird, auch wenn ich weiß, dass auch in diesem Punkt die Praxis oft schon weiter ist als das Lehramt.
"Alle" bedeutete an diesem Sonntag wirklich eine sehr große Menge Menschen*. Viele Kinder, deren Eltern, Omas und Opas, und dazwischen noch ein paar Touristen wie ich. Typisch dänisch waren die Bankreihen mit kleinen Blumensträußchen geschmückt, und das spätsommerliche Morgenlicht fiel durch die hohen Fenster.
Gesungen wurde mit voller Lautstärke und Inbrunst, besonders die Kinder legten sich richtig ins Zeug.
Das Abendmahl war für mich eine Besonderheit, die ich bisher so nur aus Büchern kannte:
Man reihte sich ein und kniete immer in kleinen Gruppen rund um den Altar, auf einer schön weich gepolsterten Kniebank.
Als erstes bekam man von einer kleinen Platte das Brot** gereicht, das man zunächst in der Hand behielt.
Vor uns standen lauter kleine Einzelkelche, in die der Pfarrer reihum aus einer feinen Porzellankanne den Wein einschenkte. Erst wenn der Wein im Kelch war, wurde das Brot gegessen und der Wein getrunken.
Dann stand man auf und machte der nächsten Runde Platz.
So ging es eine ganze lange Weile, bis alle gegessen und getrunken hatten, und nach einem Lied wurde der Schlusssegen gespendet. Während sich die ganze wuselige Gemeinde Richtung Ausgang und Kirchenkaffee aufmachte, blieb ich noch eine Weile in der Bank sitzen, immer noch den Geschmack des (wirklich starken!) Weins auf der Zunge.
Helfer und Helferinnen räumten derweil den Altarraum auf, sammelten die kleinen Kelche ein und bliesen die Kerzen aus.
Der Pfarrer kam mit seiner kleinen Tochter auf dem Arm aus der Sakristei, lachend und plaudernd im Gespräch mit Menschen aus der Gemeinde.
* Corona spielt in Dänemark schon länger kaum noch eine Rolle im Alltag - für uns durchaus gewöhnungsbedürftig.
** Eine Oblate, ich weiß allerdings nicht, ob man in evangelischen Kirchen auch "Hostie" sagt.
Ich kann gar nicht in Worte in Fassen, wie sehr mich diese kleine Szenerie und das zuvor Erlebte bewegt und berührt hat.
Ganz bestimmt kann man hier noch den Ferien-Hygge-Sommer-Bonus dazu rechnen, der seinen eigenen Zauber dazu gegeben hat, ebenso wie das "Zuhause" - Gefühl, das ich zu diesem Ort und dieser Region Dänemarks inzwischen habe.
Selten war mir bewußter, dass wir das, was wir "Gott" nennen, nicht in Konfessionen zwängen oder in Regelwerke einsperren können und dass alle Anstrengungen, dies trotzdem zu tun, zu immer weiterem Absterben von Leben und Vielfalt in den Kirchen führen wird.
Will ich damit alles "wegwischen" oder gar zerstören? Natürlich nicht.
Sich der eigenen konfessionellen Besonderheiten bewusst zu sein, ihre Entstehungsgeschichten zu kennen und über die anderer Denominationen zu lernen, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Dass allerdings aufgrund der Unterschiede bis heute (katholischerseits) Verbote und Ungültigkeitsbehauptungen ausgesprochen werden, ist derart überholt und unsinnig, dazu fällt mir überhaupt gar nichts mehr ein.
Dieses Thema ist weder neu, noch werde ich an den unsäglichen Streitereien zwischen den Konfessionen irgend etwas ändern.
Spannend finde ich jedoch den Begriff "Postkonfessionell" - hier ein Artikel dazu.
Wünsche ich mir das? Eine Welt ohne konfessionelle Grenzen?
Ja und jein.
Ja, weil sie definitiv kreativer, vielfältiger und vermutlich lebendiger wäre als es die jeweiligen Konfessionen heute erlauben, wenn man sie wirklich strikt auslegt.
Jein, weil ich mir das nur unter der Prämisse vorstellen könnte, dass man das Erbe nicht vergisst. Dass man weiß, warum man dieses oder jenes tut oder bewusst nicht mehr macht. Dass man respektiert, dass manches aus der Tradition für die einen Bestand hat, während es für andere keine Rolle mehr spielt.

Wie wichtig ist es am Ende, ob ich den Wein aus einem einzigen Kelch getrunken habe oder aus einem von vielen kleinen Becherchen? Natürlich ist auch das eine umstrittene Praxis. Wäre ja auch zu schön, wenn es bei den evangelischen Christ*innen keinen Zank gäbe, oder?
Bei aller Liebe zu theologischen Feinheiten - geht es nicht letztlich darum, dass wir zusammenkommen und versuchen, etwas unbegreifliches miteinander zu teilen und zu feiern? Und wenn genau das gelingt, wenn der Funke überspringt - egal wo - dann sollte man sich doch darüber freuen und ein solches Erleben nicht rückwirkend für "ungültig" erklären oder es gar "schwere Sünde" nennen.
Wer mich kennt weiß, dass mir das Wort "Gott" noch immer schwer über die Lippen geht. Ich kann nicht einfach sagen oder hier tippen: Das war ein eindeutiges Gotteserlebnis - dort in der kleinen, vollgestopften dänischen Kirche, als ich eingeladen war zu starkem Wein und zerbrechlichem Brot.
Ich glaube aber, dass ich eine Idee davon habe, was manche damit meinen - und DAS kann kein Lehramt der Welt für ungültig erklären.
Wer Lust hat, mehr über die vielfältigen Traditionen rund um die Geschichte des Abendmahls und der Eucharistie zu erfahren, dem lege ich (immer wieder!) gerne mein Lieblingsbuch dazu ans Herz:
"Gott essen - eine kulinarische Geschichte des Abendmahls" von Anselm Schubert.
Guten Appetit, skål & Amen.
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